Musikwissenschaft ist eine wissenschaftliche Disziplin, deren Inhalt die praktische und theoretische Beschäftigung mit Musik ist, d. h. die Erforschung und Reflexion aller Aspekte der Musik und des Musizierens. Das Phänomen Musik wird aus der Sicht aller relevanten Disziplinen (und ihrer Erkenntniswege) betrachtet; dazu gehören kultur-, natur-, sozial- und strukturwissenschaftliche Ansätze.
Die Musikwissenschaft erfuhr nach 1945 eine Ausdifferenzierung, die eine Gliederung in Teildisziplinen notwendig machte. Glen Haydon (1896–1966) und Friedrich Blume (1893–1975) befürworteten eine Dreigliederung:
Diese Dreigliederung löste die von Guido Adler (1855–1941) geprägte Zweiteilung in Historische und Systematische Musikwissenschaft ab. Musikethnologie zählte Adler zum Bereich der Systematischen Musikwissenschaft. Weitere Einteilungen waren die fünfgliedrige Einteilung (Historische, Systematische, Musikethnologische, Musiksoziologische und Angewandte Musikwissenschaft) von Hans-Heinz Dräger (1909–1968) sowie die viergliedrige Einteilung (Systematische Musikwissenschaft, Musikgeschichte, Musikalische Volks- und Völkerkunde sowie Landes- und Gesellschaftskundliche Musikforschung) von Walter Wiora (1907–1997).
Der Gegenstandsbereich der historischen Musikwissenschaft ist Musik und Geschichte. Man verwendet die Quellenforschung, Notenkunde und Notentextanalyse, um Sachverhalte der Vergangenheit aufzudecken. Die Historische Musikwissenschaft will Quellen verfügbar machen und sie interpretieren. Erst seit den 1960er Jahren wendet man sich der Musik des 20. Jahrhunderts zu. Vor allem die Geschichte der Europäischen Musik (Kunstmusik) hat sie zum Inhalt. Sie hat verschiedene Teilgebiete:
Wichtige Hilfsdisziplinen sind:
Aus dem ursprünglichen Konzept von Adler (1885) (Stichwort: „Gesetzesmäßigkeiten“) sowie der heutigen internationalen Wissenschaftspraxis geht hervor, dass Gegenstand der systematischen Musikwissenschaft nicht in erster Linie spezifische Erscheinungsformen der Musik wie Stücke, Werke, Aufführungen, Traditionen, Gattungen, Komponisten, Stile, Perioden usw., sondern eher die Musik an sich und musikalische Phänomene im Allgemeinen sind. Um abstrakte, allgemeine Aussagen über Musik zu ermöglichen ist eine „systematische“ Vorgehensweise nötig (Beispiele: Erkenntnistheorie, Logik, Klassifikation, Messung, Empirik, statistische Analyse, Modellierung, Vorhersage). Die Systematische Musikwissenschaft ist in folgende Einzeldisziplinen gegliedert:
Seit Jaap Kunst 1950 das englische Wort ethnomusicology einführte, haben sich im Deutschen die Begriffe Musikethnologie oder Ethnomusikologie gegenüber der früheren Vergleichenden Musikwissenschaft durchgesetzt. Das Fachgebiet beschäftigt sich mit Musik außerhalb der westlichen Kunstmusik. Übrig bleibt die europäische Volksmusik, die Musik der außereuropäischen Naturvölker und die Musikkulturen, die nicht vom europäischen Abendland abhängig sind, wie zum Beispiel die asiatische Kultur.
Historische und systematische Aspekte sind hier streng mit eingegliedert. Die Abkapslung des dritten Zweiges ist jedoch wichtig, da hier die verschiedenen Kulturen verschiedene Anforderungen stellen. So gibt es nicht in jeder Kultur den Begriff der „Musik“. Und wo fängt für die Wissenschaft „Musik“ überhaupt an? Oft bringt hier nur die Feldforschung die Wissenschaft voran, wo das tägliche Leben der Menschen in möglichst unveränderter Form beobachtet wird. Forschungsbereiche:
Der in der hellenistischen Antike entwickelte Lehrplan basierte auf den beiden Säulen Musiké und Gymnastik, die die Bildung des Geistes und des Körpers vermitteln sollten.[1] Deshalb nahm das Unterrichtsfach Musiké, das sich spätestens seit Platon auch mit mathematisch-musikwissenschaftlichen Fragen befasste, in seiner ursprünglichen und weit gefassten Bedeutung einen bevorzugen Platz im antiken Bildungswesen ein. Auch die aus dieser Tradition hervorgegangene ars musica wandte sich Themenfeldern zu, die heute den Fächern Musikwissenschaft bzw. einem speziellen Forschungszweig der Musiktheorie zugeordnet werden. In der mittelalterlich-universitären Ausbildung wurde der ars musica – als einer der vier mathematischen Künste (Quadrivium) der septem artes liberales – jedoch lediglich der Platz eines propädeutisches Faches der Philosophie zugewiesen. Letztere galt wiederum seit dem Mittelalter als ancilla theologiae und nahm als untere Fakultät gegenüber der höchsten Theologischen Fakultät nur eine dienende Funktion im christlich-abendländischen Bildungswesen ein. Das blieb nicht ohne Folgen für die ars musica, die sich gegenüber der Theologie mit einschlägigen Bibelzitaten hinsichtlich ihrer geistesgeschichtlichen Relevanz zu rechtfertigen versuchte. Eine endgültige Emanzipation der Philosophischen gegenüber den Theologischen Fakultäten fand erst in der Epoche der Aufklärung ab etwa 1740 statt,[2] wobei die Musik inzwischen aus dem Kanon der universitären Ausbildung herausgefallen war.[3]
Lorenz Christoph Mizlers Correspondierende Societät der musicalischen Wissenschaften (1738–1761) gilt als erste musikwissenschaftliche Gesellschaft. Mizler war mit seinen von 1736 bis 1742 gehaltenen Vorlesungen an der Leipziger Universität der erste Hochschullehrer, der nach dem Verfall der ars-musica-Tradition das Fach Musikwissenschaft gemäß einem von ihm vorgelegten Lehrplan an einer Universität unterrichtete.[4] Es war seine erklärte Absicht, „die musikalischen Wissenschaften, so wohl was die Historie anbelanget, als auch was aus der Weltweisheit, Mathematik, Redekunst und Poesie dazu gehöret, so viel als möglich ist, in vollkommenen Stand zu setzen.“[5] In der Folgezeit knüpfte die jetzt wieder an den Philosophischen Fakultäten betriebene Musikwissenschaft nicht mehr an der edlen Music-Kunst Würde (Werckmeister 1691) des antiken Musikbegriffs an, sondern wandte sich vornehmlich anderen Aufgabenfeldern zu.
Als universitäre Disziplin sah sich die Musikwissenschaft in der Zeit der Weimarer Republik zunehmend in die Ecke gedrängt. Sie wurde konfrontiert mit Vorwürfen des „Elitarismus“ und eines „Elfenbeinturm-Daseins“.[6] Darüber hinaus musste sie ihre Nützlichkeit für die Gesellschaft unter Beweis stellen und eine „aktivere Rolle in der Gesellschaft spielen.“[6] Besonders die Doppelerfahrung zahlreicher Musikwissenschaftler als Akademiker im Hochschulbetrieb als auch Praktiker im Bereich der Musik bzw. der Musikerziehung, war für diese Legitimation von besonderer Bedeutung und ermöglichte auf lange Sicht in einigen Fällen einen nahtlosen Übergang in das nationalsozialistische System.[6] Die Musikwissenschaft war 1918 zu Beginn der Weimarer Republik eine relativ junge akademische Disziplin, jedoch waren es die Vorarbeiten von namhaften Musikwissenschaftlern der ersten Generation wie z. B. Hermann Kretschmar, Guido Adler, Erich von Hornbostel, Curt Sachs und vielen anderen, die Pionierarbeit auf den Gebieten der Historischen, Systematischen und Vergleichenden Musikwissenschaft leisteten. So hatten „deutsche und österreichische Wissenschaftler in Forschung und Methodologie bahnbrechend gewirkt.“[7] Die sogenannten „Denkmäler deutscher Tonkunst“, galten in der Spätphase der wilhelminischen Epoche als Prestigeprojekt um einerseits den Wert der deutschen Musik zu belegen und gleichzeitig die Musikwissenschaft als akademisches Fach zu legitimieren und deren Nützlichkeit für die Bevölkerung unter Beweis zu stellen. Als „‚Erzieher‘ hatten sie die Aufgabe, das deutsche Volk über sein musikalisches Erbe und seine musikalische Stärke aufzuklären.“[6] Trotz all dieser Bemühungen konnte die Musikwissenschaft während der Weimarer Republik nie eine bedeutsame kulturpolitische Position einnehmen.
Noch immer nicht vollständig erforscht ist die Rolle der Musikwissenschaft im Dritten Reich. Nach der Zwangsentlassung jüdischer Wissenschaftler übernahmen vielerorts überzeugte NSDAP-Mitglieder oder Gesinnungsgenossen die Institute und führten sie als willige Kunstvollstrecker im Sinne des Regimes. So fälschte etwa der Musikwissenschaftler Wolfgang Boetticher als Mitarbeiter im Sonderstab Musik im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg angebliche Briefe von Schumann an Mendelssohn im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Die Musikwissenschaftler Theophil Stengel und Herbert Gerigk veröffentlichten das rassistische Lexikon der Juden in der Musik. Der Musikwissenschaftler Joseph Müller-Blattau übernahm eine Professur für Musikwissenschaft in Frankfurt am Main. Seit 1933 SA-Mitglied, forschte er für die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe der SS über das Germanische Erbe in der deutschen Tonkunst. 1936 spielte er eine unrühmliche Rolle bei der Entfernung von Wilibald Gurlitt durch den nationalsozialistischen Rektor der Universität Freiburg/Breisgau. 1937 wurde er zum Nachfolger Gurlitts berufen. Friedrich Blume hielt 1938 bei den ersten Reichsmusiktagen das Grundsatzreferat Musik und Rasse- Grundlagen einer musikalischen Rasseforschung. Heinrich Besseler, Mitglied der SA und der NSDAP forderte bei den Musiktagen der Hitlerjugend in Erfurt, „daß die Musikpflege der Universität vom Geist des neuen HJ-Liedes durchdrungen werden müsse“.[8]
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmten viele belastete Musikwissenschaftler den Musikdiskurs der Bundesrepublik; sie waren zum Teil bis in die Gegenwart publizistisch tätig. Otto Emil Schumann etwa veröffentlichte 1940 „Die Geschichte der deutschen Musik“; in den 1980er Jahren folgten Standardwerke wie „Der große Konzertführer“ und das „Handbuch der Klaviermusik“. Andere Musikwissenschaftler – z. B. Hans Schnoor – verbreiteten ihre antisemitischen Ausführungen zu Mendelssohn weiter (Zitat: „Musikwunder ohne seelische Substanz“). Wolfgang Boetticher, beteiligt an der Konfiszierung jüdischen Eigentums, lehrte bis 1998 an der Universität Göttingen. Friedrich Blume war ab 1949 Herausgeber der ersten Auflage des Musiklexikons Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Heinrich Besseler folgte einem Ruf an das neueingerichtete Ordinariat für Musikwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, er erhielt den Nationalpreis der DDR.
Die Populäre Musik wird von der Popularmusikforschung behandelt. Wo sie früher eher der Musikethnologie zugerechnet wurde, ist sie heute entweder eigenständig oder Teil der Systematischen Musikwissenschaft.
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