Strukturformel
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Strukturformel ohne Stereochemie (komplexes Stereoisomerengemisch)
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Allgemeines
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Name
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Hexabromcyclododecan
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Andere Namen
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- 1,2,5,6,9,10-Hexabromcyclododecan
- HBCD
- HBCDD
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Summenformel
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C12H18Br6
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CAS-Nummer
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- 3194-55-6 (unspez.)
- 25637-99-4 (Isomerengemisch)
- 134237-50-6 (α-HBCD)
- 134237-51-7 (β-HBCD)
- 134237-52-8 (γ-HBCD)
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PubChem
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18529
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ECHA-InfoCard
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100.042.848
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Eigenschaften
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Molare Masse
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641,73 g·mol−1
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Aggregatzustand
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fest
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Dichte
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2,24–2,38 g·cm−3[1]
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Schmelzpunkt
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- 179–181 °C (α-HBCD)[1]
- 170–172 °C (β-HBCD)[1]
- 207–209 °C (γ-HBCD)[1]
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Dampfdruck
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- 3,0·10−5 Pa (technisches Gemisch, 25 °C)[2]
- 3,0·10−4 Pa (α-HBCD, 25 °C)[2]
- 4,3·10−5 Pa (β-HBCD, 25 °C)[2]
- 2,4·10−5 Pa (γ-HBCD, 25 °C)[2]
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Löslichkeit
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praktisch unlöslich in Wasser:
- 2,3·10−7 mol·l−1 (technisches Gemisch, 25 °C)[2]
- 2,8·10−6 mol·l−1 (α-HBCD, 25 °C)[2]
- 9,9·10−7 mol·l−1 (β-HBCD, 25 °C)[2]
- 1,7·10−7 mol·l−1 (γ-HBCD, 25 °C)[2]
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Sicherheitshinweise
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Zulassungsverfahren nach REACH
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besonders besorgniserregend[5], zulassungspflichtig: persistent, bioakkumulativ und toxisch (PBT)[6]
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Toxikologische Daten
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>10 g·kg−1 (LD50, Ratte, oral)[7]
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Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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Hexabromcyclododecan (HBCD oder HBCDD[9]) ist ein additives Flammschutzmittel, das überwiegend in Polystyrolschaum, in hochschlagfestem Polystyrol und in Polstermöbeln eingesetzt wird.[10] Dadurch wird insbesondere erreicht, dass sich lokale Brandherde langsamer entwickeln. In der Polymermatrix liegt es nicht chemisch gebunden, sondern als homogene Dispersion vor.
Darstellung und Gewinnung
Technisch wird HBCD durch Addition von Brom an 1,5,9-Cyclododecatrien hergestellt.[11]
Eigenschaften
Von HBCD existieren 16 Isomere, die sich in der räumlichen Anordnung der sechs kovalent gebundenen Brom-Substituenten unterscheiden. In technischen Produkten kommen das α-, das β- und das γ-Isomer vor.[12]
Strukturen der sechs Isomere, welche zu einem Anteil von > 1 % im technischen Produkt vorhanden sind
Verwendung
Die Hauptanwendungsbereiche von HBCD sind die Isolationsschäume EPS (expandierter Polystyrol-Hartschaum) und XPS (extrudierter Polystyrol-Hartschaum). Durch die Ausrüstung mit HBCD wird erreicht, dass Polystyrol als schwerentflammbar klassifiziert wird. Überdies fand HBCD bis im Jahr 2013 auch als Flammschutzmittel in HIPS-Gehäusen, Textilien und Polstermöbeln Verwendung. Typische Einsatzkonzentrationen von HBCD waren rund 0,7 % in EPS, 2,5 % in XPS und 6–15 % in Textilien.[13]
Der industrielle Verbrauch in Europa wurde 2001 auf jährlich rund 9500 Tonnen geschätzt.[14] Der weltweite Jahresverbrauch lag bei 16.700 Tonnen.[15]
Die US EPA identifizierte drei in EPS und XPS einsetzbare Alternativstoffe zu HBCD:[16]
- 1,1′-(2,2-Propandiyl)bis[3,5-dibrom-4-(2,3-dibrom-2-methylpropoxy)benzol] (CAS-Nr. 97416-84-7)
- 1,1′-(2,2-Propandiyl)bis[3,5-dibrom-4-(2,3-dibrompropoxy)benzol] (CAS-Nr. 21850-44-2)
- Bromiertes Styrol-Butadien-Copolymer (CAS-Nr. 1195978-93-8)
Letzteres wird von verschiedenen Herstellern seit 2014 oder 2015 auch tatsächlich eingesetzt.[17][18]
Analytik
Zur Analytik wird das Isomerengemisch meist chromatographisch (z. B. durch HPLC) an ausgewählten Cyclodextrinphasen[19] getrennt. Die Detektion erfolgt massenspektrometrisch meist mit der HPLC/MS- oder der GC/MS-Kopplung.[20] Bei biologischen Matrices ist eine aufwändigere Probenvorbereitung, meist mit primärer Gewinnung eines Gesamtlipidextrakts und anschließender Reinigung über Kieselgel-Trennsäulen und/oder durch lipophile Gelchromatographie, erforderlich.[21][22]
Durch eine Extraktion von EPS- oder XPS-Stücken in Aceton und anschließender Röntgenfluoreszenzspektroskopie (XRF) kann einfach zwischen einer Ausrüstung mit Hexabromcyclododecan oder dem polymeren Flammschutzmittel bromiertes Styrol-Butadien-Copolymer unterschieden werden.[23] Auch die Verwendung von Kernspinresonanz (NMR) ist möglich.[24]
Umweltrelevanz
HBCD kann durch verschiedene Prozesse in die Umwelt gelangen und kommt in Spurenkonzentrationen in allen Umweltkompartimenten wie Luft, Wasser und im Boden vor. In Sedimenten, in Klärschlamm und in Fischen[25] wurden hohe Konzentrationen des α-Isomers nachgewiesen.[26] In einer vom WWF durchgeführten Untersuchung wurde HBCD auch im Blut der Europaparlamentarier gefunden.[27] HBCD ist in geringeren Konzentrationen auch in vielen Lebensmittelverpackungen enthalten.[28]
Im Jahr 2008 wurde HBCD als PBT-Stoff in die Liste von besonders besorgniserregenden Stoffen aufgenommen.[29]
Der Stoff wurde im Mai 2013 in das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe aufgenommen. Für den Einsatz als Flammschutzmittel gilt ein weltweites Herstellungs- und Anwendungsverbot. Für den Haupteinsatzbereich als Zusatz in Dämmplatten gilt eine einjährige Ausnahmeregel.[30] Für die Verwendung in EPS für Bauzwecke hat die EU jedoch eine Zulassung erteilt, wobei der Überprüfungszeitraum am 21. August 2017 ausläuft.[31]
In Deutschland mussten HBCD-haltige Polystyrol-Dämmstoffe nach einer Änderung der Abfallverzeichnis-Verordnung ab 1. Oktober 2016 als gefährlicher Abfall entsorgt werden. Aufgrund dieser Einstufung kam es zu Entsorgungsengpässen, da viele Müllverbrennungsanlagen nicht über die entsprechende Genehmigung verfügten.[32] Um weiterhin die Entsorgung in diesen Müllverbrennungsanlagen zu ermöglichen, regelten einige Bundesländer über Erlasse, dass HBCD-haltige Polystyrol-Dämmstoffe bis zu einem bestimmten Anteil im Baumischabfall zulässig sind.[33] Nach einer weiteren Änderung der Abfallverzeichnis-Verordnung gelten HBCD-haltige Polystyrol-Dämmstoffe ab 28. Dezember 2016 als nicht gefährlicher Abfall und können in Müllverbrennungsanlagen entsorgt werden.[34] Am 17. Juli 2017 wurden die POP-Abfall-Überwachungs-Verordnung und eine Änderung zur Abfallverzeichnis-Verordnung erlassen (BGBl. I S. 2644). HBCD-haltige Polystyrol-Dämmstoffe können damit auch weiterhin in Müllverbrennungsanlagen entsorgt werden, allerdings gilt für sie ein Getrenntsammlungsgebot und ein Vermischungsverbot.[35]
In Österreich werden HBCD-haltige EPS-Dämmstoffe als nicht gefährlicher Abfall (Abfallschlüsselnummer 57108 „Polystyrol, Polystyrolschaum“) eingestuft. Sie dürfen in Verbrennungsanlagen für nicht gefährliche Abfälle (Müllverbrennungsanlagen) mitverbrannt werden.[36]
- ↑ a b c d Persistent Organic Pollutants Review Committee: Report of the Persistent Organic Pollutants Review Committee on the work of its sixth meeting: Addendum: Risk profile on hexabromocyclododecane, 2010.
- ↑ a b c d e f g h Jon Arnot, Lynn McCarty, James Armitage, Liisa Toose-Reid, Frank Wania, Ian Cousins: An evaluation of hexabromocyclododecane (HBCD) for Persistent Organic Pollutant (POP) properties and the potential for adverse effects in the environment. (PDF-Datei; 2,93 MB), 2009.
- ↑ Eintrag zu Hexabromcyclododecan, Isomere in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 1. Februar 2016 (JavaScript erforderlich).
- ↑ Eintrag zu 1,2,5,6,9,10-hexabromocyclodecane im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
- ↑ Eintrag zu CAS-Nr. 3194-55-6 in der SVHC-Liste der Europäischen Chemikalienagentur, abgerufen am 16. Juli 2014.
- ↑ Eintrag zu CAS-Nr. 3194-55-6 im Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe der Europäischen Chemikalienagentur, abgerufen am 16. Juli 2014.
- ↑ Eintrag zu 1,2,5,6,9,10-Hexabromocyclododecane in der Hazardous Substances Data Bank, abgerufen am 19. November 2014.
- ↑ Vorlage:CL Inventory/harmonisiertHarmonisierte Einstufung und Kennzeichnung von Hexabromocyclododecane im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 22. Oktober 2015.
- ↑ Åke Bergman, Andreas Rydén, Robin J. Law, Jacob de Boer, Adrian Covaci, Mehran Alaee, Linda Birnbaum, Myrto Petreas, Martin Rose, Shinichi Sakai, Nele Van den Eede, Ike van der Veen: A novel abbreviation standard for organobromine, organochlorine and organophosphorus flame retardants and some characteristics of the chemicals. In: Environment International. Band 49, 2012, S. 57–82, doi:10.1016/j.envint.2012.08.003, PMC 3483428 (freier Volltext).
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- ↑ G. Oenbrink, T. Schiffer: Cyclododecatriene, Cyclooctadiene, and 4-Vinylcyclohexene. In: Ullmanns Enzyklopädie der Technischen Chemie. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2012; doi:10.1002/14356007.a08_205.pub2.
- ↑ R. J. Law, M. Kohler u. a.: Hexabromocyclododecane challenges scientists and regulators. In: Environ. Sci. Technol. 39(13), 2005, S. 281A–287A. PMID 16053062.
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- ↑ BSEF: Major Brominated Flame Retardants Volume Estimates – Total Market Demand By Region in 2001 (DOC-Datei; 85 kB).
- ↑ BSEF: Bromide Science and Environment Forum. 2007.
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- ↑ BASF: European EPS, XPS portfolio switched to PolyFR nine months ahead of REACH deadline, Plasteurope.com, 27. November 2014.
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- ↑ Zusammenfassung der Beschlüsse der Europäischen Kommission über Zulassungen für das Inverkehrbringen zur Verwendung und/oder für eine Verwendung von Stoffen, die in Anhang XIV der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) aufgeführt sind. Amtsblatt der Europäischen Union, C 10, 13. Januar 2016.
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- ↑ Pia Grund-Ludwig: Erste Bundesländer regeln Entsorgung von HBCD-Dämmung. EnBauSa. 20. Oktober 2016. Abgerufen am 1. Februar 2017.
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- ↑ Bundesrat vereinfacht Entsorgung von Styropor. Bundesrat. 7. Juli 2017. Abgerufen am 13. Juli 2017.
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